Der Autofahreralltag

comicvon Robert Steinmetz

Mittwoch, 20. August 2005, 6:30 Uhr morgens in einer Reihenhauskolonie im Stadtteil Vorrade. Es scheint wieder ein schöner Tag zu werden: 38 Grad, strahlend blauer Himmel, die Ozon- und NOx-Werte liegen etwas unter denen des vorigen Tages. 

Herr Spoiler beißt in sein aromatisiertes, emulgatorenaufgeblasenes Nutella-Brötchen, Krümel purzeln über die Überschriften der Lübecker Nachrichten auf die aktuellen Tagesmeldungen: Freude auch beim Wetterbericht: „Es bleibt sonnig und warm, zum Wochenende hin werden steigende Temperaturen erwartet“.

Von Eternity-(Calvin Klein) und Klobürstenduft (Procter&Gamble) umwölkt geht Herr Spoiler um 7:00 Uhr zu seinem Auto, welches im Carport neben dem Auto seiner Frau steht. So früh am Morgen sind die Jalousien in den Fenstern der anderen Reihenhäuser meist noch runtergezogen, sie ähneln aneinander geklebten Schuhkartons. Doch dann rattern die Jalousien nach oben, verlassen die Besitzer ihre 80 qm Wohnfläche und starten ihre Autos, Motoren brummen, Abgaswolken wabern in die Geranien der Minigärten, Autotüren knallen und das Blechgewimmel quillt aus den Carports und Garagen der kleinen Straßen, rieselt wie ein Bach und vereinigt sich zu einem größeren Strom, der in der Possehlstraße und am Lindenplatzkreisel vorerst zum Stillstand kommt.

Sein Auto und auch das seiner Frau, steht eigentlich fast immer, es nennt sich Automobil, aber ein Auto ist selten mobil, es steht fast genauso lange wie eine Immobilie ständig herum, über 95 % seiner Lebenszeit steht es irgendwie immer im Weg. Potthäßlich wie ein Gelber Sack vom Dualen System steht es am Straßenrand. Ununterbrochen, 24 Stunden, Tag und Nacht. Der Gelbe Sack wird wenigstens nach kurzer Zeit gnädig von der Müllabfuhr abgeholt und entsorgt. Beim Auto ist diese Hoffnung vergebens.

Ziemlich unwirtschaftlich und unökologisch, dafür ein ganzes Land umzukrempeln, mit 500.000 km Straßen zu durchziehen, damit Autos immer fahren können, obwohl sie das ja meistens nicht tun. Und wenn sie denn mal fahren, sind sofort die Straßen verstopft, deswegen waren auch die halbe Million km erforderlich und die müssen permanent ausgebaut werden, weil immer mehr Autos zugelassen werden.

Das nur als Exkurs, solche komplexen Gedanken tangieren Herrn Spoiler u.a. schlichte Autofahrer nicht, er braucht sein Auto eben wie die anderen 50 Mio Autofahrer in Deutschland auch, er hat schließ-lich dafür gearbeitet und muß damit zur Arbeit kommen. Was soll er denn bei Regen machen oder im Winter, wenn es kalt ist? Soll er sich etwa aufs Fahrrad schwingen? In diesem Frühjahr hat er mit seiner Frau eine Radtour und schlechte Erfahrungen gemacht: die neuen Moutainbikes von Karstadt wurden aufs Dach vom Van montiert und dann sind sie ins Lauerholz gefahren und durch den Wald geradelt. Und dabei übel von einem Regenschauer überrascht worden.

5 km muß unser Autofahrer zur Arbeit zurücklegen, dafür braucht er lockere 30-40 Minuten. Wie jeden Morgen geht es langsam voran, nicht nervend langsam, oh nein, denn die anderen Köpfe, die um ihn herum aus den Blechtonnen lugen, sind auch nicht schneller, sie ruckeln genau wie er qualmend von Ampel zu Ampel. Und es ist ja jedes Mal so.

Selbst wenn die Autos stehen, verbrauchen sie Energie, im Zustand der Ruhe verqualmen sie einen hochwertigen Rohstoff zu einem giftigen Gasgemisch. Dieses wird aus dem Auspuff des vor einem stehenden Autos aktiv durch die Lüftung des eigenen Autos angesaugt und in der sog. Fahrgastzelle (besser: Sicherheitsfahrgastzelle) konzentriert. Unsichtbare Gifte sammeln sich an und werden von Herrn Spoiler und seinen Leidensgenossen in ihren Blechschachteln. tief inhaliert. Das ist für die aber kein Problem, sie schalten höchstens dann naserümpfend die Lüftung aus, wenn eine geballte schwarze Dieselwolke aus einem der neuen EU 30-Tonner auf sie abgefeuert wird.Devot warten sie an Ampeln, Tempelanlagen, deren Gott ihnen mit Lichtsignalen Einhalt oder freie Fahrt gewährt. 

So richtig verwegen fühlt sich Herr Spoiler, wenn er einfach noch bei Rot über die Ampel huscht, die anderen hinter sich lassend, dann durchströmt ihn Genugtuung, das ist der Kick des Tages für ihn.

Aber ein Abenteuer, das Herr Spoiler spaßig „Safari“ nennt, erwartet ihn noch: da fährt doch tatsächlich ein kleiner Junge mit seinem Rad über den Zebrastreifen am Kreisel beim Lindenplatz! Er fährt! Dabei muss er doch absteigen und schieben! Freudig erregt gibt Herr Spoiler Gas und rast auf den kleinen Jungen zu, drückt gellend auf die Hupe und bremst 1 m vor dem Zebrastreifen ab. Der Junge fällt vor Schreck vom Rad, Herr Spoiler springt aus dem Auto, reißt den Jungen hoch, gibt ihm eine schallende Ohrfeige und hält ihm dann eine Standpauke in Sachen StVO. Der Junge weint und zittert, als er sein Rad hochhebt und weiterschiebt, aber er hat großes Glück gehabt, Herr Spoiler hätte ihn auch tot fahren können! Und dann hätten seine Eltern ein Verfahren bekommen wegen Vernachlässigung der Erziehungs- und Aufsichtspflichten. Nur so funktioniert der Autostaat!

Die 1. Zigarette des Tages und RSH mit „fun and facts“ machen die 20 Minuten von der Vorrader Reihenhaussiedlung bis zum Lindenplatz für Herrn Spoiler erträglich, so eine Art rollende Pause mit Polstersesseln unterm Hintern auf der Straße. Ein ununterbrochenes Gedudel von Werbespots, Staumeldungen, Ansagen und Musik quillt aus dem Radio, mancher griffige Werbespruch ist schon Bestandteil der Unterhaltung mit den Kollegen geworden.

Neben Opels und Porsches sind an diesem Morgen wieder die sicherheitsbewußten Autofahrer in Volvos (Side impact protection system und 25 Airbags) unterwegs, auch Azubis im kleinen Ka oder Twingo. Den Azubis wurde in der Fernsehwerbung eingeredet, wie wendig und flott die Kleinwagen doch sind. Aber die sind nun leider doch nicht so wendig und können die anderen Blechkisten nicht einfach überfliegen. Enttäuscht diese Erkenntnis? Nein, denn man ist stolz, ein eigenes Auto zu haben, man muß nicht mehr auf dem Rad strampeln, und am Wochenende mit dem Rad in die Disco ist ja wohl das allerletzte! Man verdient doch endlich Geld, soll man da noch im Bus sitzen, bitte schön? Von hinten rollt ein Jeep bedrohlich dicht auf Herrn Spoilers Van zu, vor ihm dreht ein Saab Cabrio-Fahrer nervös in seinen Haaren, neben ihm tippt eine Frau im sexy-schwarzen Beetle wie besessen in ihr Nokia-Handy, nachdem sie den blauen Deckel gegen einen rosafarbenen ausgetauscht hat.

Nach 40 Minuten und 17 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit auf heißem Asphalt erreicht Herr Spoiler seinen Bildschirmarbeitsplatz bei der LVA in der Ziegelstraße.

Die LVA hat einen Riesenparkplatz für ihre Mitarbeiter gebaut, der das Gebäude als ein Flugplatz-großer, breiter Betongürtel umschließt, und wer viel Glück hat, hat vom Schreibtisch aus den ganzen Tag sein Auto im Blick.

Herr Spoiler ist Versicherungskaufmann, von weiteren spannenden Erlebnissen wie dem rasanten Ampelstart kann an diesem Tag nicht berichtet werden. Höchstens vielleicht von der kessen Azubine, die sich am Kopierer auf dem Flur nach den runterflatternden Kopien bückte.  

Nach 8 Stunden am Rechner ist endlich Feierabend. Es ist16 Uhr, die trockene Luft über dem Parkplatz flimmert in der Nachmittagssonne, im Auto von Herrn Spoiler sind satte 70 Grad. Nach 40 Minuten Stop and Go auf dem Weg zu Supermarkt und Baumarkt in der Ratzeburger Allee hat die Klimaanlage die Hitze auf erträgliche 35 Grad runtergewürgt. Auf dem Supermarkt ist wieder ein Rumgekurve wie vor Weihnachten, aber alle folgen dem gleichen Rhythmus, nach dem auf der Heimfahrt mit dem Auto eingekauft werden muß. Weitab vom Haupteingang, da wo die Altglascontainer stehen und Pappkartons heulend zusammengeschreddert werden, muß Herr Spoiler parken.

Nach dem Einkaufen gehts rüber in den Baumarkt, neue Koniferen müssen her, denn die, die er vor 3 Jahren gepflanzt hat, haben gelbe Nadeln bekommen und stehen jetzt da wie rostige Fernsehantennen.

Für den Reihenhaus-Mitte-mit-Carport-und-Konifere-Besitzer bietet der Baumarkt jedenfalls eine große Auswahl an Tannen, Kiefern u.a. wachstumsgebremsten Gehölzen. Ihnen ist gemeinsam, daß sie kein schmutziges Laub abwerfen, welches dann unschön in der Auffahrt oder auf den Autos der Nachbarn liegt.

Die neuen, 80 cm hohen Tannenbäumchen passen auch problemlos ins Auto und bevor Herr Spoiler noch ins Fitnesscenter fährt, liefert er Einkäufe und Tannenbäume in seinem RHM ab und holt seinen Jogginganzug. Er hat es eilig, denn heute Abend soll noch gegrillt werden, daher ißt er nicht zu Hause, sondern holt sich auf dem Weg zum Fitness-Center im McDrive schnell einen BicMac.

Das Fitness-Center ist ganz in der Nähe. 2 x die Woche ist Herr Spoiler hier zum Ausdauertraining: je nachdem, welches Gerät frei ist, rennt er auf dem Laufband oder strampelt auf einem festgeschraubten Fahrrad und wedelt dazu mit den Armen, das nennt sich Spinning. Der Feierabendverkehr ist jetzt etwas ausgedünnt, der Parkplatz vorm Center großzügig geplant. Herr Spoiler kann sich aussuchen, wo er den Wagen abstellen will und so parkt er direkt vor der Halle, durch deren große Scheiben er mit großen Augen einer Gruppe gymnastiktreibender Schülerinnen der Ernst-Barlach-Schule eine Weile zuschauen kann. Dabei denkt er mißmutig an seine eigene Alte zu Hause, 90 kg hat die drauf, viel zu fett, die sollte man nachher vom Grill fernhalten!

Manchmal würde er sie am liebsten selber grillen, hat sie doch gestern erst gesagt, daß er gar nicht Autofahren kann! Dafür darf sie am Sonntag alleine mit ihrem Wagen in die Waschanlage in die Geniner Straße fahren, davor hat sie nämlich Angst, vor den ganzen Knöpfen und den Magnetkartenschlitzen! Da weiß sie nicht, wo sie raufdrücken muss und hinter ihr die höhnischen Blicke der anderen wartenden Autofahrer! Da wird sie schön ins Schwitzen kommen!

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Zitate

"Wir haben in Berlin eine Mauer abgerissen – aber noch ist jede Straße ein Todesstreifen, gesäumt von zwei Mauern aus parkenden Autos."

---- Autofreies Kreuzberg, Berlin