Am 5.12.2002 hat ein Vorstandsmitglied des Vereins autofrei leben! e. V. gegen den vom motorisierten Individualverkehr (Auto, Lkw) dominierten Straßenverkehr Verfassungsbeschwerde erhoben. Das Kernanliegen der Verfassungsbeschwerde ist die Aufhebung der unter verkehrswissenschaftlichen Gesichtspunkten nicht haltbaren, also willkürlichen und damit dem Grundgesetz widersprechenden, Fußgänger, aber auch Radfahrer und Fahrgäste des öffentlichen Personennahverkehrs diskriminierenden und deren körperliche Unversehrtheit häufig bedrohenden Verkehrsordnung.
Im ersten Teil der Beschwerde werden zahlreiche gegen Fußgänger und Radfahrer gerichtete Bußgeldtatbestände (z. B. Missachtung der Autoampeln) angegriffen. Die herrschende Verkehrsordnung, welche Fußgänger auf die Gehwege abdrängt und Fußgänger und Radfahrer auf das Warten für Autos an Bordsteinkanten oder Ampeln verpflichtet, ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, da sie einer verkehrswissenschaftlichen Grundlage entbehrt. Verkehrsprobleme gibt es umso eher, je mehr Fläche die Verkehrsteilnehmer beanspruchen. Wo diese Flächenansprüche aufeinander treffen, stehen sie sich gegenseitig im Weg. Allerdings nicht alle gleichermaßen, sondern je eher und umso mehr, je größer ihr Flächenanspruch. Eine verkehrswissenschaftlich begründete Verkehrsordnung muss also zunächst den Flächenbadarf der verschiedenen Verkehrsträger ermitteln, um anhand dessen die logische Reihenfolge im Verkehr festzustellen.
Eine Berechnung des dynamischen Flächenbedarfs ist folgendermaßen machbar: Indem zum Anhalteweg (Reaktionsweg + Bremsweg) die Länge des Fahrzeugs bzw. Fußgängerschrittes hinzuaddiert wird, danach die Summe mit der Spurbreite multipliziert und ggf. die Fläche durch den mittleren Besetzungsgrad (Personen je Fahrzeug) dividiert wird, lässt sich der dynamisch-individuelle Flächenbedarf ermitteln.
Bei gleicher Ausgangsgeschwindigkeit der verschiedenen Verkehrsarten sieht das Ergebnis so aus: Den kleinsten Flächenbedarf pro Person haben die Benutzer von Bus und Bahn, es folgen die Fußgänger, die Radfahrer und zuletzt Pkw-Benutzer. Dementsprechend würde die Reihenfolge im Konfliktfall ("Vorfahrt") in einer verkehrswissenschaftlich begründeten Verkehrsordnung aussehen. Diese Reihenfolge ist durch die vorherrschende Verkehrsordnung beinahe auf den Kopf gestellt worden.
Artikel 11 Absatz 1 GG gewährt allen "Deutschen ... Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet". "Die Benutzung eines bestimmten Beförderungsmittels und die Bereitstellung dafür geeigneter Wege wird vom Schutzbereich dieses Grundrechts nicht umfaßt", erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einer seiner früheren Entscheidungen.
Da es sich beim zu Fuß gehen um die natürlichste Art der menschlichen Fortbewegung handelt und um kein (Verkehrs-)"Mittel" im engeren Sinne, ist eine Einschränkung der Freizügigkeit der Fußgänger zugunsten eines allgemeinen Vorrechts von Autos mit dem Grundgesetz unvereinbar. Das Bundesverkehrsministerium selbst hatte verlauten lassen, wie bedeutend die Normierung von Verhaltensvorschriften im Verkehr ist:
"Man muß sich vor Augen halten, daß Normen auf keinem anderen Gebiet in das Leben selbst so unmittelbar eingreifen wie Verkehrsvorschriften. Es ist ein Irrtum zu glauben, daß es dem Gesetzgeber auf diesem Gebiet frei stünde, zu reglementieren, was ihn am grünen Tisch zweckmäßig dünkt." [Begründung der Straßenverkehrsordnung]
Der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber hat einst die "Fahrbahn" erfunden. Er teilte den Straßenraum in "Fahrbahn" und "Gehweg" ein. In Verbindung mit der Straßenverkehrsordnung (StVO) ergibt sich daraus eine weitgehende Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Fußgänger. Dieses wird insbesondere beim Vergleich der den anderen Verkehrsteilnehmern zugestandenen Bewegungsfreiheit deutlich. "Fahrbahn"-Benutzer können jede Stadt von einem Ende zum anderen, kreuz und quer, beinahe nach Belieben durchqueren, sie können z. B. von Flensburg nach München fahren, ohne jemals die sog. "Fahrbahn" verlassen zu müssen. Fußgänger dagegen können in den meisten Fällen nur um einen Häuserblock kreisen, ohne den Gehweg zu verlassen. Wollen sie ihren Weg geradeaus fortsetzen, werden sie immer und immer wieder durch die StVO gemaßregelt. Schon hier ist zu prüfen, ob nicht ein Widerspruch zu Artikel 3 Absatz 1 GG ("Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.") besteht.
Alleine durch Besitz bzw. die Verfügungsgewalt und den Einsatz eines Fahrzeugs und ggf. einer Fahrerlaubnis erlangen Menschen gegenüber anderen Menschen auf öffentlichen Flächen Vorrang.
Das widerspricht auch Artikel 14 Absatz 2 GG ("Eigentum verpflichtet."). Das BVerfG hat in einer Entscheidung zum Thema Reiten und Waldwege [BVerfgGE 80, S. 160 f.] bereits einmal festgestellt, dass die "Ausgrenzung der Reitwege aus der Gesamtzahl der zur Verfügung stehenden ... Waldwege und nicht etwa umgekehrt ... eine Ausgrenzung besonderer Wanderwege" angesichts der erhöhten Gefahr durch die Pferde ein angemessenes Vorgehen sei. Im sonstigen Straßennetz wurde aber das unangemessene Prinzip angewandt, für die Fußgänger hauptsächlich nur um Häuserfronten herum führende schmale Streifen aus dem Wegenetz auszugrenzen und alles andere dem Fahrverkehr zu überlassen. Das Ergebnis dieser Ausgliederung wird am Beispiel von Berlin deutlich. Dort gibt es gerade einmal alle 2,2 Straßenkilometer einen "Überweg". Mit Demokratie hatte das nichts zu tun, denn als das Prinzip der "eingebauten Vorfahrt" für den Kraftfahrzeugverkehr eingeführt wurde, waren die Autobesitzer eine winzige Interessengruppe.
Noch 1970 bildeten die Pkw-Führerscheininhaber in West-Deutschland eine Minderheit, die es sich herausnehmen konnte, mehr als 6.000 Fußgänger und Radfahrer zu töten. Die Autokolonnen erwecken den Eindruck einer riesigen Majorität, doch das ist auf Grund ihrer sehr hohen Fahrleistungen und eben auch Flächenansprüchen, also übermäßigen Präsenz im Straßenbild, eine Täuschung. Ganz zu schweigen von der akustischen Dominanz.
Im Übrigen ist das Grundgesetz ein sog. "Abwehrrecht" des Einzelnen gegen Übergriffe des Staates. Weil es nicht mit einfacher Mehrheit veränderbar ist, schützt es auch die Rechte von Minderheiten. Der Gesetzgeber könnte aber den Vorrang für Automobile in die Verfassung schreiben.
Von einem "Ausgleich konkurrierender Nutzungsansprüche", den das BVerfG oft fordert, kann bezüglich der Emissionen, oder besser der daraus resultierenden Immissionen, überhaupt nicht die Rede sein. Alleine vom Standpunkt einer kompensatorischen Gerechtigkeit in dem Sinne, dass die anerkannt umweltfreundlichsten Verkehrsarten Vorrang erhalten, wäre eine andere Verkehrsordnung schon in Erwägung zu ziehen. Artikel 20a des Grundgesetzes ("Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen") ist im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde aber aus gesetzlichen Gründen nicht einklagbar.
Gerne wird behauptet und geglaubt, der Vorrang des Autos diene der Verkehrssicherheit. Doch die Gefahrenabwehr hat sinnvollerweise nach dem Verursacherprinzip zu erfolgen, anstatt potentiellen und realen Opfern ihren Bewegungsraum einzuschränken. Auch wenn sich heutzutage viele Fußgänger auf dem zum Gehweg ernannten Teil der Straße sicher fühlen, so ist dies bei objektiver Betrachtung mehr oder weniger bloßes Wunschdenken. Die meisten Bordsteine stellen kein echtes mechanisches Hindernis für Kfz dar, was die zahlreichen Gehwegparker offenbar machen. Ganz zu schweigen von Ampellichtern oder Fahrbahnmarkierungen (Zebrastreifen). All das wird nur für die Ermittlung der Schuldfrage benutzt (ebenso der Sondertatbestand der "Unfallflucht" im Strafgesetzbuch), um eine geordnete versicherungsrechtlichen Abwicklung sicherzustellen. Mit Unfallverhinderung, wie es der Schutz der körperlichen Unversehrtheit durch das Grundgesetz erfordert, hat dies nur insoweit zu tun, als dass Verkehrsteilnehmer, die vom derzeit in weiten Teilen legalen Gewaltmonopol des Kraffahrzegverkehrs eingeschüchtert sind, von vornherein den Rückzug antraten. Verfassungsrechtlich betrachtet fand hier eine Verschiebung der Akzente innerhalb des Artikel 2 des Grundgesetzes statt. Die laut Statistik zurückgegangene Häufigkeit des Verstoßes gegen Absatz 2 ("Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.") ist durch den Verstoß gegen Absatz 1 ("Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit") mehr als wettgemacht worden.
Im Jahre 1934 wurde die erste, für ganz Deutschland geltende StVO, eingeführt. Ein Jahr später erklärte der Reichs-Verkehrsminister:
"In letzter Zeit haben Nachrichten über die Zahl der Straßenverkehrsunfälle die Öffentlichkeit und die Behörden beunruhigt. ... So wichtig Maßnahmen zur Verhinderung von Unfällen sind, dürfen doch dadurch die großen Ziele der Verkehrspolitik nicht beeinträchtigt werden. Auf keinen Fall sind Maßnahmen angebracht, die der Motorisierung des Verkehrs abträglich sind."
Seit 1934 stiegen 36 Jahre lang die Unfallzahlen der Fußgänger an. Dass im 37. Jahr (1971) eine Trendwende einsetzte, kann kaum ernsthaft als Erfolg dieser Verkehrsordnung eingeordnet werden, sondern hatte andere Gründe. Bei den Radfahrern verlief die Entwicklung der Unfallzahlen weniger ungünstig. Das kann damit erklärt werden, dass nach dem 2. Weltkrieg die Nazi-Verkehrsordnung, welche besagte, dass Kraftfahrzeuge gegenüber Fahrrädern immer Vorrang haben, verändert wurde. Der Fahrradverkehr wurde 1953 dem Kraftfahrzeugverkehr in Bezug auf die Vorfahrtsregelung gleichgestellt. Und zwar mit folgender Begründung:
"Dadurch, daß zukünftig die Kraftfahrer z. B. gegenüber den Radfahrern kein allgemeines "Vorfahrtsrecht" mehr haben, werden sie zu größerer Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme angehalten. ..."
Der Verordnungsgeber war sich also darüber bewußt, dass auf Verkehrsteilnehmer ohne allgemeines Vorfahrtsrecht weniger Rücksicht genommen wird. Und bis heute werden Fußgänger zu solchen Verkehrsteilnehmern abqualifiziert.
Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes garantiert "das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit". Somit bedarf es eigentlich keiner Wiederholung dieses Grundsatzes in einem anderen Rechtssatz. Z. b. gibt es kein Gesetz, welches ausdrücklick das Töten mit einer Eisenstange verbietet. Das allgemeine Tötungsverbot schließt dieses ohnehin aus. Im Straßenverkehr kann Töten aber legal sein, wenn die Vorfahrtsregeln und die zulässige Höchstgeschwindigkeit beachtet worden sind. Das heisst, die StVO besagt eigentlich, in welchen Fällen Körperverletzung nicht dem Grundgesetz widerspricht. Nur steht das nicht ausdrücklich so geschrieben und ist deshalb nach dem Grundgesetz illegal. Außerdem ist die StVO nur eine Verordnung und kein Gesetz. D. h., sie wurde vom Bundesminister und den Ministerpräsidenten verabschiedet. Laut Grundgesetz darf in das Recht auf körperliche Unversehrtheit "nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden". Es müsste also die Merheit der Bundestagsabgeordeten zustimmen; bei der aktuellen Koalition also auch die Grünen.
Kommt im Straßenverkehr jemand ums Leben, dann steht für die Justiz eines praktisch schon fest: Es kann sich allenfalls um den Tatbestand der "fahrlässigen Tötung" handeln. In den zahlreichen - auch den umfangreichsten - Rechtskommentar-Büchern zum Straßenverkehrsrecht sind auch angrenzende Rechtsgebiete aufgeführt. Unter anderem auszugsweise das Strafgesetzbuch. Allerdings werden nur die Fahrlässigkeit-Paragraphen angeführt. Umgekehrt würde wohl jeder Fußgänger, der mit einer Pistole tötet, Tat-"Vorsatz" unterstellt bekommen. In der Praxis des Straßenverkehrs ergibt diese ungleichgewichtige Stellung des Staates zur Gewalt die Durchsetzung des Rechts des (per Führerschein legal) Stärkeren. Der Gesetzgeber hat dieses billigend in Kauf genommen, wie ein Auszug aus der ,,Begründung zur Straßenverkehrsordnung" beweist:
"Schon ungewohnte Verhaltensweisen ließe sich der Verkehr allenfalls widerwillig aufzwingen, Verhaltensvorschriften, die ihm zuviel zumuten, würde er nicht respektieren. Der Verkehr hilft sich am besten selbst. Er schafft sich seine eigenen "Gesetze". Dabei sind auch diese "Gesetze" nicht selten ständigem Wandel unterworfen. Der Gesetzgeber darf daher Verkehrsregeln grundsätzlich nur dann und erst dann festlegen, wenn sie bereits allgemein praktiziert werden und im Verkehr solche Anerkennung gefunden haben, daß jeder, der sich nicht an sie hält, allgemein als Störenfried empfunden wird."
Die so genannte ,,gefestigte Rechtsprechung" hat sich dieses Prinzip auch zu eigen gemacht. Fußgänger und Radfahrer müssten sich auf Geschwindigkeitsübertretungen von Kfz-Führern einstellen, Kraftfahrer aber nicht auf schnell laufende Fußgänger, meint die Justiz im Allgemeinen. Wer erhebliche Gefahrenmomente in die Welt setzt darf also damit rechnen, dass die anderen davor zurückschrecken, während die friedfertigen nicht aus ihrer Rolle ausbrechen dürfen, weil dieses ungewohnte Verhalten andere überfordere. Die Idee für diese treuhänderische Übertragung des staatlichen Gewaltmonopols an die Auto fahrenden Bürger hatten die Nazis. Roland Schurig, Senatsrat bei der für den Verkehr zuständigen Senatsverwaltung Berlin und Verfasser des juristischen Standardwerkes ,,Grundriß des Verkehrsrechtes", schrieb rückblickend:
"So wurde von den Kündern der neuen Zeit der `Vertrauensgrundsatz' für den Straßenverkehr propagiert und langsam schwenkte die Rechtsprechung darauf ein. Das blieb auch nach dem Kriege so. ..... Es ging darum, den `Kraftfahrer etwas von der Sorgfaltspflicht zu entlasten', wie es der Präsident des für Verkehrsstrafrecht zuständigen Senats beim Bundesgerichtshof einmal formulierte."
Das Bundesverfassungsgericht schloss sich der Meinung an, der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber erfülle seine grundgesetzliche Pflicht nicht schon alleine durch den Erlass einer Schutznorm. Vielmehr müsse er auch ,,für ihre praktische Umsetzung und ihre reale Akzeptanz Sorge tragen. Es kommt nicht so sehr an auf das "law in the books" als auf das "law in action"." In diesem Sinne wird die Unterlassung des Staates aber besonders deutlich. Die "Grundregel" der StVO, § 1, besagt zwar, dass sich "Jeder Verkehrsteilnehmer so zu verhalten" habe, "dass kein Anderer geschädigt ... wird". Doch schon in der Verordnung selbst wird angedeutet, dass dies nur mit Einschränkungen (Alte, Kinder) gelten soll, heißt es doch in § 3 (Geschwindigkeit): "Die Fahrzeugführer müssen sich gegenüber Kindern, Hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, daß eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist." Menschen mittleren Alters sind hier schon nicht mehr ausdrücklich schutzwürdig. In der offiziellen Begründung der StVO geht die Legislative noch einen Schritt weiter und schreibt dazu: "Das setzt allerdings voraus, daß der Fahrzeugführer die geschützten Personen sieht ...". Somit wird zynischerweise die Tatsache, dass am Straßenrand geparkte Kfz die häufigsten Sichthindernisse darstellen, zu einem Beschleunigungsfaktor des Automobilverkehrs, weil Autofahrer dort, wo sie nicht alles überblicken können, die zulässige Höchstgeschwindigkeit ausfahren dürfen.
Der Verfassungsrechtler Murswieck bemerkte, dass im Bereich des Straßenverkehrs eine verfassungsrechtliche Klärung überfällig ist:
"Als Verfassungsproblem kaum diskutiert wird die Verkehrssicherheit, obwohl die immer noch große Zahl von Verkehrstoten und von dauerhaft schwerbeschädigten Unfallopfern dazu allen Anlaß gäbe. Kann man den motorisierten Teilnehmern am Straßenverkehr noch unterstellen, daß sie als Mitverursacher der Unfallrisiken auch selber bereit sind, ein erhöhtes Risiko zu tragen, läßt sich dieser das gemäß Art. 2 II gebotene Sicherheitsniveau mildernde Umstand nicht beispielsweise auf Radfahrer und noch weniger auf am Straßenverkehr nicht beteiligte Fußgänger beziehen."
Das Bundesverfassungsgericht hat sich bisher kaum mit dem Straßenverkehr beschäftigt. Umso problematischer ist eine zweideutige Äußerung des Gerichts bei einem angrenzenden Themengebiet zu werten, wo es hieß:
"Der Begriff der Gewalt, der im Allgemeinen Sprachgebrauch mit unterschiedlicher Bedeutung verwendet wird, muß hier im Zusammenhang des Normgefüges verstanden werden. Der Gesetzgeber wollte in § 240 StGB nicht jede Zwangseinwirkung auf den Willen Dritter unter Strafe stellen. Andernfalls wären auch zahlreiche Verhaltensweisen, die im Sozialleben, etwa im Erziehungswesen, in der Arbeitswelt oder im Verkehrsbereich, teils erforderlich teils unvermeidlich sind, der Strafandrohung unterfallen. Um das zu vermeiden, hat er sich damit begnügt, das pönalisierte Verhalten als Nötigung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu beschreiben ..." [BVerfgGE 92, S. 16]
Da es allgemein bekannt ist und z. B. auch in der offiziellen Verletztenstatistik objektiv zutage tritt, dass bei der vorherrschenden Form des Straßenverkehrs sehr viel Gewalt angewandt wird, lässt die gewählte Formulierung einer bedenklichen Interpretation Platz. Mit der Verhandlung der Beschwerde bekommt das Bundesverfassungsgericht die Chance, hier mehr Klarheit zu schaffen.
Die negative Sonderstellung des Kraftfahrzeugverkehrs zieht sich wie ein roter Faden durch die Gesetzgebung und Rechtsprechung.
Eine Verfassungsbeschwerde, welche die durch die Massenmotorisierung hervorgerufene Belastung der Luft zu Gegensatnd hatte, erklärte das Bundesverfassungsgericht 1995 für unzulässig. Ein Grundsatz des BVerfG lautet nämlich, dass dem Gesetzgeber nur dann eine Unterlassung vorzuwerfen sei, wenn er ,,untätig" geblieben oder völlig unzureichend gehandelt habe. Da es aber eine Herabsetzung von Grenzwerten gegeben habe, sei der Gesetzgeber nicht völlig untätig geblieben. Darüber, ob das gesetzgeberische Handeln bezüglich der Grenzwerte unzureichend oder nicht war, lässt sich streiten. In einer Hinsicht blieb der Gesetzgeber aber völlig untätig. Bei jedem Haus und jeder Anlage ist vorgeschrieben, dass die Abgase nicht in Atemhöhe ausgestoßen werden dürfen, sondern durch einen Schornstein. Nur beim Kfz ist es erlaubt und üblich, die Abgase in Gesichtshöhe von Kleinkindern abzulassen. In der Verfassungsbeschwerde wird deshalb eine Hochlegung des Auspuffrohrs auf mindestens 3 m gefordert. Verschiedene Automobilhersteller geben ganz offen zu, dass sie den Lärm ohne weiteres reduzieren könnten. Auf Grund der Unterlassung einer ausreichenden Nachbesserung von Vorschriften nutzen die Hersteller stattdessen ihren Spielraum dazu, um "sound-engineering" zu betreiben. Hier macht sich der Gesetzgeber der Unterlassung der Anpassung der Vorschriften an das technisch mögliche schuldig. Auf Grund der Gesetzeslage ist es dem Pkw-Hersteller ,,Smart" möglich, auf zynische und zugleich mit der Gesetzgebung bestens harmonisierenden Weise die Gefährlichkeit seines Produkts für andere Menschen mit den folgenden Sätze anzupreisen: "Der smart ist so stabil gebaut, daß er mit seiner extrem harten TRIDION-Sicherheitszelle einen großen Teil der Aufprallenergie an seinem `weicheren' Gegner abbaut. ... Im Ernstfall knittert also der andere, um soviel Energie wie nur möglich abzubauen." er verhängt hat.
Prof. Dr. Uwe Wesel erklärte, der Staat sei "geradezu verpflichtet", die Straßenverkehrsordnung und die Straßenverkehrszulassungsordnung so zu ändern, "daß wir auf unseren Straßen endlich genauso sicher leben können wie zu Hause oder am Arbeitsplatz". [Die Zeit, 14.5.1993, S. 20]
Dr. Hans Wrobel sprach vom "Versagen des Rechts" und stellte fest: "Der Gesetzgeber wendet gegenüber dem Automobil nicht die legislatorischen Mittel an, die er - ganz gezielt im Interesse von Leben und Gesundheit - gemeinhin bei der rechtlichen Behandlung gefährlicher Werkzeuge einsetzt. ... Aus guten Gründen untersagen die Gesetze, daß jedermann eine Schußwaffe hat. Ganz anders bei dem gefährlichen Werkzeug Automobil. Sein Gebrauch wird von Gesetzen nicht begrenzt, sondern planmäßig gefördert. Ungeachtet der Toten und Verletzten des Straßenverkehrs wehren die Gesetze die von Automobilen ausgehenden Gefährdungen für die Menschen nicht wirksam ab." [Süddeutsche Zeitung, 1.8.1992]
Der ,,Spiegel"-Gerichtsreporter Gerhard Mauz schrieb vom "Töten, das nicht kriminell ist - Warum der Straßenverkehr bei uns eine Sonderstellung genießt": "Der Tod im Verkehr ist längst zum Absterben des Gefühls für Recht und Unrecht geworden". [Der Tagesspiegel, 6.11.2000]
Das Bundesverfassungsgericht ist kein Gesetzgeber. Es hat nicht die Berechtigung, selbst Gesetze zu formulieren oder die Gesetze der Legislativen so lange zusammenzustreichen, bis ein bestimmtes Endergebnis zustande kommt. Das Bundesverfassungsgericht kann nur grobe Verletzungen des Grundgesetzes feststellen - wie sie in der oben beschriebenen Sache offensichtlich vorliegen - und die Regierung und das Parlament auffordern, gegenüber dem Grundgesetz juristische Legalität zu wahren.
Auf den Automobilismus bezogen hieße das, zumindest mehr Ehrlichkeit walten zu lassen, indem z. B. der Automobilismus in die Verfassung geschrieben wird (,,Die Würde des Autofahrers ist unantastbar.") oder das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit dem Autoismus geopfert wird.
Mensch darf gespannt sein, ob das Bundesverfassungsgericht den Millionen willigen und begeisterten Automobilisten bereit ist zuzumuten, zugunsten ihres Privatvergnügens von den Politikern offiziell die Einschränkung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit anderer Verkehrsteilnehmer zu fordern.
Vortrag von Dr.-Ing. Ulrike Reutter auf der Jubiläumstagung - "10 Jahre Autofreie Siedlung" am 19.11.2011 in Münster.
Bericht zur Jubiläumstagung - "10 Jahre Autofreie Siedlung. Autofreie Quartiere – ein Beitrag zu nachhaltiger Stadtentwicklung" am 19.11.2011 in Münster
Der Aspekt Mobilität muss beim Wohnen ein höheres Gewicht erhalten. Fussverkehr Schweiz engagiert sich daher zusammen mit verschiedenen Partnern für autofreie oder autoarme Siedlungen.
In Zürich streiten sich die Politiker darüber, ob Mietern ihr Auto verboten werden darf. Während autofreie Siedlungen im Bau sind, ist Bern viel weiter. Dort verzichten 80 Personen vertraglich auf das Auto.
Keinen Parkplatz suchen müssen, keine hohen Gebühren für den Stellplatz bezahlen, keinen Autolärm – das ist für Schweizer, die in einem autofreien Quartier wohnen kein Traum mehr, sondern gelebter Alltag. Lesen Sie hier, wie solche Projekte in Zürich und Bern realisiert werden.
Ziel der Gemeinschaftsinitiative Münchner Umweltverbände auf kommunaler Ebene ist die Errichtung modellhafter autofreier Wohnquartiere. Sie versteht sich als Ansprechpartner für Wohninteressent(inn)en und Bauträger, Politik und Verwaltung. Eine wichtige Aufgabe sieht sie darin, Erfahrungen aus anderen Städten und die Erkenntnisse der aktuellen Fachdiskussion zu vermitteln.
"Die Grünen? Schon immer Autofahrerpartei"
---- Winfried Kretschmann (Grüne), MP Baden-Württemberg